Fachkräftemangel im Gesundheitswesen: Von Symptombekämpfung zu systemischen Lösungen
- Andreas Hieger

- 3. Juni
- 2 Min. Lesezeit
Der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen ist längst keine Schlagzeile mehr, sondern Realität im Alltag. Stationen müssen Betten sperren, Pflegekräfte arbeiten am Limit, Ärzt:innen jonglieren mit Überstunden. Viele Organisationen reagieren mit teuren Recruiting-Kampagnen – doch diese greifen oft zu kurz. Statt nur Symptome zu bekämpfen, braucht es systemische Lösungen, die an der Wurzel ansetzen.

Der Status quo: Ein strukturelles Problem
Ob in der Pflege, in der ärztlichen Versorgung oder bei therapeutischen Berufen – der Fachkräftemangel ist europaweit spürbar. Prognosen zeigen, dass in Österreich bis 2030 rund 70.000 Pflegekräfte fehlen werden. Ähnliche Entwicklungen sind auch in anderen Gesundheitsberufen zu beobachten.
Die Gründe sind vielfältig: eine alternde Gesellschaft, steigende Anforderungen an die Versorgung, gleichzeitig hohe Ausstiegsquoten und Nachwuchsengpässe. Viele Einrichtungen befinden sich in einem Teufelskreis: Mehr Belastung führt zu mehr Ausfällen und Kündigungen – was wiederum die verbleibenden Mitarbeitenden noch stärker unter Druck setzt.
Warum Recruiting-Kampagnen nicht ausreichen
Die Standardantwort auf den Mangel lautet oft: mehr Personal gewinnen. Plakate, Imagekampagnen oder internationale Anwerbung sollen den Bedarf decken. Doch das greift zu kurz:
Hohe Fluktuation: Viele neue Mitarbeitende verlassen das System schnell wieder, wenn sie die tatsächlichen Arbeitsbedingungen erleben.
Kostenfalle: Recruiting ist teuer – und ineffizient, wenn die Strukturen unverändert bleiben.
Employer Branding ohne Substanz: Ein gutes Image nach außen nützt wenig, wenn innen Überlastung und Unzufriedenheit herrschen.
Das Fazit: Recruiting ist wichtig, aber ohne strukturelle Veränderungen bleibt es Flickwerk.
Systemische Lösungen: An der Wurzel ansetzen
1. Arbeitsorganisation neu denken
Effizienz darf nicht auf Kosten der Menschlichkeit gehen. Lean-Healthcare-Ansätze helfen, Prozesse zu verschlanken, Verschwendung zu reduzieren und Ressourcen besser einzusetzen. Das schafft nicht nur wirtschaftliche Vorteile, sondern entlastet Mitarbeitende spürbar.
2. Führung und Teamkultur stärken
Führungskräfte sind Schlüsselpersonen im Gesundheitswesen. Sie prägen, ob Teams unter Druck zerbrechen oder gemeinsam wachsen. Investitionen in Führungskräfteentwicklung, Konfliktmanagement und Resilienz sind daher entscheidend. Eine Kultur, die auf Wertschätzung und Kooperation basiert, bindet Fachkräfte nachhaltig.
3. Mitarbeitererlebnis gestalten
Fachkräfte wollen mehr als ein Gehalt: Sie suchen Sinn, Entwicklung und gute Rahmenbedingungen. Maßnahmen wie flexible Arbeitszeitmodelle, partizipative Entscheidungsprozesse oder gezielte Mitarbeiterbeteiligung wirken sich direkt auf Motivation und Bindung aus.
4. Psychische Belastungen ernst nehmen
Gesundheitseinrichtungen sind verpflichtet, psychische Belastungen zu evaluieren. Richtig umgesetzt, ist dies keine Pflichtübung, sondern eine strategische Chance: Belastungen reduzieren, Ressourcen stärken und damit die Attraktivität als Arbeitgeber erhöhen.
Best Practices und Beispiele
Spitäler mit Lean-Ansätzen konnten Durchlaufzeiten im OP um 20–30 % reduzieren – ohne Qualitätseinbußen, aber mit messbarer Entlastung für Mitarbeitende.
Pflegeheime, die in Teamkultur investierten, berichten von sinkender Fluktuation und höherer Zufriedenheit. Konflikte wurden nicht verdrängt, sondern aktiv bearbeitet.
Ein Krankenhaus in Skandinavien nutzte die Evaluierung psychischer Belastungen als Grundlage für eine Kulturinitiative – Ergebnis: mehr Mitarbeitende blieben im Beruf, die Krankheitsquote sank deutlich.
Fazit: Von Symptomen zu Lösungen
Der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen lässt sich nicht durch schnelle Recruiting-Kampagnen lösen. Notwendig sind systemische Veränderungen, die Strukturen, Führung und Kultur betreffen.
Wer Arbeitsorganisation verbessert, Führung stärkt, psychische Belastungen reduziert und das Mitarbeitererlebnis in den Fokus rückt, schafft nicht nur Entlastung – sondern auch Attraktivität. Damit wird aus dem „Mangel“ eine Chance: das Gesundheitswesen so zu gestalten, dass Menschen dort nicht nur arbeiten, sondern wirken können – mit Sinn, Verantwortung und Freude.



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